Was beachtet werden sollte
Eine neue Herausforderung in der Zahnmedizin stellt die Behandlung multimorbider Patienten dar. Darunter werden Patienten verstanden, die an mehr als nur einer chronischen Krankheit leiden. Besonders hinsichtlich einer Versorgung mit Zahnimplantaten ist Multimorbidität im Alter häufig ein Hindernis und erschwert den Behandlungsprozess. Da durch den demographischen Wandel die Zahl der älteren, pflegebedürftigen Patienten steigt, nimmt proportional auch die Zahl multimorbider Patienten zu. Dies macht ein Umdenken in der auf Implantologie spezialisierten Praxis erforderlich.
Inhaltsverzeichnis
Multimorbidität (Polymorbidität) ist gekennzeichnet durch das gleichzeitige Auftreten von zwei oder mehr chronischen und/oder akuten Krankheiten bei einem Patienten. Es wird geschätzt, dass in Deutschland etwa 70% aller Patienten über 80 Jahren und 25% über 55 Jahren an mindestens zwei chronischen Erkrankungen leiden. Meist handelt es sich um alterstypische Defizite, die ohne oder mit Erkrankungen einhergehen. Ein multimorbider Patient weist in der Regel mehrere der folgenden Krankheitsbilder auf:
Zudem sind die nicht unmittelbar krankheitsbedingten Auswirkungen der Multimorbidität nicht zu vernachlässigen. Betroffene Patienten haben meist mit dem Verlust der Selbständigkeit zu kämpfen, sind in ihrem Alltag durch das jeweilige Krankheitsbild gehindert und/oder von anderen Personen abhängig. Sie verlieren dann häufig nicht nur ihre Lebensqualität, sondern tragen auch eine psychische Last.
Häufig werden multimorbiden Patienten die Vorzüge von Zahnimplantaten verwehrt, da eine Verschlechterung der Zahngesundheit und der Verlust des Implantats befürchtet wird. Das bedeutet aber nicht, dass eine implantologische Versorgung generell ausgeschlossen ist. Das individuelle Risiko für den chronisch belasteten Patienten muss immer im Einzelfall bewertet werden.
Die Herausforderungen bei der prothetischen Versorgung älterer Patienten sind ohnehin vielschichtig. Bei multimorbiden Patienten müssen darüber hinaus die familiären, allgemeinmedizinischen und psychosozialen Rahmenbedingungen erfasst werden, um festzustellen, ob eine Implantation überhaupt sinnvoll ist. Um das Für und Wider von Zahnimplantaten bei multimorbiden Patienten abwägen zu können, stehen drei Fragestellungen im Vordergrund, die es zu beantworten gilt:
Die Beantwortung dieser Fragen erfordert eine ganzheitliche Betrachtungsweise des Zahnarztes. Man spricht dann auch von ganzheitlicher Zahnheilkunde. Sie erfasst den Patienten in seiner Gesamtheit, indem sämtliche Faktoren, die einen relevanten Einfluss auf den Behandlungsprozess und Behandlungserfolg haben können, einbezogen werden. Den Patienten mit all seinen Lebensumständen, Gewohnheiten und persönlichen wie auch medizinischen Bedürfnissen als Ganzheit zu begreifen, ermöglicht eine umfassende Risiko-Nutzen-Analyse.
Bei multimorbiden Patienten sind vor allem die Risiken der Medikamenteneinnahme hervorzuheben. Viele Medikamente, die zur Behandlung chronischer Krankheiten zum Einsatz kommen, werden im Alter nicht mehr so schnell von der Leber oder Niere abgebaut, sodass sie länger im Körper verbleiben. Hierdurch können Neben- und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten auftreten wie z.B. Mundtrockenheit oder verminderter Speichelfluss, wodurch ungünstige Bedingungen für eine Implantation und die Implantat-Einheilung bestehen.
Auch die Nachsorge und Langzeitbetreuung von Patienten mit chronischen oder multiplen Erkrankungen stellt eine große Herausforderung dar. Schließlich möchte jeder Behandler körperliche Beeinträchtigungen und technische Misserfolge seiner Arbeit vermeiden. Doch physische und kognitive Einschränkungen können dazu führen, dass der Patienten sich nicht kooperativ zeigt und durch die neue prothetische Situation überfordert ist. Ohne eine engmaschige Betreuung sind dann häufig der dauerhafte Verbleib des Implantats / der Implantate und die Gesundheit des Patienten gefährdet.
Diese Umstände gilt es bei der Behandlung von multimorbiden Patienten zu (er)kennen und mit entsprechenden Maßnahmen verantwortungs- und vertrauensvoll zu reagieren. Dann ist in den allermeisten Fällen auch bei Multimorbidität eine Versorgung mit Zahnimplantaten möglich, die eine nachhaltig verbesserte Lebensqualität mit sich bringt.
Für eine erfolgreiche Implantation bei chronisch belasteten Patienten ist eine umfassende Anamnese und Diagnostik entscheidend. Hierfür sollte eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den anderen behandelnden Ärzten des Patienten stattfinden. Nur so kann der behandelnde Zahnarzt einen exakten Einblick in die Komplexität des jeweiligen Falls erlangen und Faktoren wie z.B. den Blutzuckerspiegel bei Diabetes oder eine Dialysebehandlung in seine Behandlung einbeziehen.
Neben fachfremden Behandlungen bei Kollegen kann das Hinzuziehen innovativer Diagnostiksysteme wie Digitale Volumentomographie (3D-Röntgen), Allergietests (vgl. Lymphozytentransformationstest) und 3D-Implantatplanung Teil des Behandlungsplans sein. Insgesamt gestaltet sich die gesamte implantologische Therapie chronisch belasteter Patienten von Beginn an aufwendiger und zeitintensiver.
Des Weiteren bedarf es bei allen prothetischen Konstruktionen einer vorausschauenden Planung. Das heißt, der ohnehin schon belastete Patient altert mit der Implantatkonstruktion. Eine signifikante Besserung seiner Leiden ist meist nicht zu erwarten. Dieser Umstand muss bereits vorab bei der Implantatplanung berücksichtigt und den individuell vorliegenden Einschränkungen des Patienten angepasst werden.
Hier sind meist alternative Überlegungen und Prothetik-Konzepte erfordert, die für den Patienten einfach zu handhaben, zu reinigen und stabil sind. Notfalls sollte auch eine externe Betreuung (z.B. durch Familie oder Pflegepersonal) möglich sein, um eine adäquate Prophylaxe und Prothesen-Reinigung zu gewährleisten und Periimplantitis vorzubeugen. Gelegentlich ist auch Improvisation gefragt, wie z.B. die Vereinfachung des Zähneputzens mit Griffverstärkungen bzw. -vergrößerungen aus Tennisbällen oder Fahrradgriffen, um der stetig abnehmenden Fähigkeit der häuslichen Mundhygiene/Prothesenhygiene entgegenzuwirken.
Aus den bereits genannten Gründen kommen bei multimorbiden Patienten überwiegend Zahnimplantate mit herausnehmbarem Zahnersatz zum Einsatz. Sie sind festsitzenden Konstruktion hinsichtlich der Reinigung (auch durch Dritte wie Personal, Familie, Zahnarzt) überlegen und bieten zudem den Vorteil der Anpassungsfähigkeit und des Umbaus, sollte sich die orale Situation des Patienten verändern. Für eine stabile Verankerung einer Totalprothese reichen bereits 2-4 Zahnimplantate aus, die mit einem Druckknopfverfahren oder einer Stegkonstruktion leicht zu befestigen sind.
Auch spezielle Implantatsysteme wie das All-On-4® - Konzept oder Zygoma-Implantate stehen bei bestimmten Einzelfällen zur Behandlung multimorbider Patienten zur Wahl. Beide Systeme erlauben sogar eine Implantation ohne eine zusätzliche Kieferaugmentation (Knochenaufbau) durchführen zu müssen. Dies erleichtert und verkürzt den chirurgischen Eingriff und die damit verbundene Einheilzeit. Solche Implantatsysteme sind gerade dann sinnvoll, wenn die Mitarbeit des Patienten aufgrund kognitiver Einschränkungen und gesundheitlichen Risiken stark beeinträchtigt ist.
Wenn Sie einen multimorbiden Patienten oder eine multimorbide Patientin betreuen und sich für Zahnimplantate interessieren, suchen Sie am besten einen Spezialisten auf, der über große Erfahrung, die notwendige technische Ausstattung und das interdisziplinäre Wissen verfügt.
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Welche Patienten haben bei Implantaten besondere Risiken (wie Rauchen)? Welche Erkrankungen sind noch Kontraindikationen? In der Experten-Sprechstunde "Zahnimplantate für Parodontitis- und Risikopatienten" beantwortet unser Experte Dr. med. dent. Thorsten Pletz, Zahnarzt aus Krefeld (Uerdingen), Fragen von Patienten.
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